Womöglich wird man in vielen Jahren einmal herausfinden, wem der nächtliche Putschversuch in der Türkei – vorläufige Bilanz: knapp 200 Tote, 1200 Verletzte – wirklich zuzuschreiben ist. Wem er nützt, steht schon jetzt fest: Präsident Erdogan. Sein ohnehin aus Verschwörungstheorien gemauertes Regierungsfundament wird noch stabiler werden. Seit langem verfolgt und bestraft Erdogan seine Gegner mit einer Verbissenheit, die ans Pathologische grenzt – jetzt gibt ihm der Putsch die letzte Weihe. Es ist keine Frage, dass der Putsch illegitim war – Erdogan ist demokratisch gewählt worden. Und nichts wäre schlimmer gewesen, als eine Türkei im Bürgerkrieg.
Doch wie demokratisch die nächste Wahl in der Türkei noch sein wird, ist heute ein großes Rätsel. Sah er gestern Abend im wackligen Handy-Video auf CNN noch aus wie einer der gestürzten Despoten des Arabischen Frühlings, hatte er schon heute Morgen seine Rhetorik vollständig zurückgewonnen. Nicht nur verortet er die Schaltzentrale des Putschs im Ausland, er sprach auch von einem „blitzsauberen“ Militärapparat, den er nun schaffen werde. Womöglich erlässt er Notstandsgesetze, die die Demokratie in der Türkei weitgehend aushebeln. Es könnte ein türkischer Herbst ausbrechen, der in einen sehr kalten Winter mündet.