Es ist Sommer und Matti und Otto haben keine Lust auf Schule. Sehr viel Lust haben Sie auf Sonne und auf’s Schwimmengehen. Leider ist das Schwimmbad geschlossen. Wegen Zerbröselung. Wie auch schon der Haupteingang ihrer Schule. Um das „Blaue Wunder“ zu renovieren, ist kein Geld da. Und überhaupt kümmerst sich niemand darum. Niemand? Nicht so ganz. Die beiden Freunde beschließen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Dass sie dabei nicht immer so ganz bei der Wahrheit bleiben können, ist leider nicht zu verhindern…. Wer reinlesen will, kann das hier tun:
Eine Sommergeschichte, in der es nach Pommes, Sonnencreme, Chlor und grüner Wiese riecht – genau das Richtige, um noch gut durch ein paar graue Winterwochen zu kommen! Bestellen könnt Ihr sie überall, wo es Bücher gibt und natürlich am besten in der Buchhandlung Eures Vertrauens.
„In Silke Lambecks neuem Band… zeigen Kinder auf famose Weise, was Phantasie und Engagement bewirken können- allerlei Ungemach zum Trotz.“ (Barbara Weitzel, Welt am Sonntag)
Sie hätte natürlich auch um 12 Uhr schließen können. Die Papeterie neben ihr war schon seit einer Stunde zu und der Schuhladen hatte gar nicht erst aufgemacht. „Kein Mensch kauft an Heiligabend Schuhe“ hatte Herbert gesagt und sich über die Feiertage verabschiedet. Er hätte wohl besser gesagt: Kein Mensch kauft an Heiligabend diese Schuhe. Herbert hatte schon seit längerem auf praktisches Schuhwerk umgestellt, aus Gründen, die nur er kannte. Er lebte von Ersparnissen aus besseren Jahren und ließ sich weder von seiner Frau noch von der jungen Verkäuferin beirren, wenn er jede Saison aufs Neue beigefarbene und graue Gesundheitsschuhe bestellte. Die, soviel stand fest, nicht zum Weihnachtsgeschenk taugten.
Mona saß am Tisch in ihrem kleinen Laden, eine Tasse Tee neben sich, und sah auf die Straße, in der die Weihnachtsbeleuchtung angegangen war. Die AG Einzelhandel hatte einen Großteil der Kosten für die Engel, Posaunen und Tannenbäume übernommen, die jetzt hell strahlten, während die Dämmerung einsetzte. Von weitem sah sie den riesigen, rhythmisch blinkenden Weihnachtsmann, der sie jedes Mal nervös machte. Er hatte etwas von einem dieser unheimlichen Clowns, vor denen sie schon als Kind Angst gehabt hatte.
Das Weihnachtsgeschäft war dieses Jahr erneut ausgeblieben. Noch im September hatte sie Dutzende von irischen Wollpullovern, Schlafanzügen und Kaschmirmützen bestellt; hatte weihnachtliche Zweige und Holzspielzeug ausgesucht, französische Konfitüre, englischen Gin, Schweizer Schokolade und ein österreichisches Kürbiskernmüsli in einem besonders schönen Glas. Ihre Regale waren voll handgemachter Kekse und ausgefallener Backmischungen, in ihren Vitrinen lag zierlicher Modeschmuck mit Lederbändern und Edelsteinen, farbig bedruckte italienische Seidentücher waren über Lederbügel drapiert, bunte Ledertäschchen für Handys oder Kosmetik stapelten sich auf den Tischen.
Mona hatte gehofft, dass es nach diesem Jahr viel Sehnsucht nach Schönheit gab. Dass die Leute durch die Straßen flanieren und nach Geschenken suchen würden. Es gab ja nicht viel anderes zu tun. Die Weihnachtsfeiern waren abgesagt worden, die Märkte auch. Die zähen Adventsfeiern in den Schulen waren ausgefallen, ebenso wie das Vorspiel beim Klavier. Ihre Tochter war schon 13 und fand das nicht weiter schlimm. Aber sie selbst hatte einen Stich gespürt als die vertraute Hektik der Adventszeit plötzlich endloser Ruhe wich. „Friedhofsruhe“ hatte sie gedacht. Und das galt auch für ihren Laden.
Die Leute hatten sich daran gewöhnt, zu bestellen. Und sie hatten keine Lust, Impfausweise zu zücken oder sich testen zu gehen. In der sonst so belebten kleinen Straße waren selten mehr als eine Handvoll Menschen unterwegs. Sie blieben vor ihrem liebevoll geschmückten Fenster stehen und bewunderten die mit Lichtern drapierten dänischen Vasen, die goldbeflitterte Tanne und die pastellfarbenen Kerzen. Nur: Sie kamen nicht herein.
Es war weniger der Umsatz, um den es ihr ging, das natürlich auch. Aber im Sommer waren mehr Touristen als sonst hier gewesen und sie hatte so gut verdient, dass sie den Verlust einigermaßen würde ausgleichen können. Was ihr am meisten fehlte, waren die Menschen. Mona sah auf den ersten Blick, mit was jemand Freude haben würde. Sie wusste, dass das junge Mädchen in einem bunten Norwegerpullover hinreißend aussehen und ihre Mutter sich sofort in die dunkelroten Samtkissen verlieben würde. Sie konnte verzweifelte Ehemänner am Tag vor Weihnachten so geschickt aushorchen, dass die genau das richtige Geschenk für ihre Frauen oder Männer aussuchten. Sie half Frauen mit Geburtstagsgeschenken für die beste Freundin, stellte überwältigende Geschenkkörbe für anspruchsvolle Blankeneser Schwiegereltern zusammen und wusste, über welche Aufmerksamkeiten sich junge Männer freuten. Und sie hatte sich sehr gewünscht, wenigstens am Heiligabend noch ein paar Suchende in letzter Minute beraten zu können. Aber die letzten Minuten waren jetzt vorbei.
Draußen hatte es angefangen zu nieseln und die Lichter spiegelten sich auf dem feuchten
Kopfsteinpflaster. Sie hörte einen Zug auf der Hochbahnstrecke rattern. Martin würde jetzt wahrscheinlich schon die Gans in den Ofen schieben. Dabei war eine ganze Gans für drei eigentlich zu viel. Aber weil es immer Gans gab, gab es auch heute Gans. Wenigstens etwas, das so war wie immer. Es war eine komische Vorstellung, nur zu dritt zu feiern. Sonst waren sie mindestens zu acht, meist kamen noch Freunde am späteren Abend oder am nächsten Tag. Aber jetzt? Die einen wollten nicht Zug fahren, weil sie warten wollten, bis sie geboostert waren. Die anderen hatten sich im Laufe der letzten anderthalb Jahre daran gewöhnt, allein zuhause zu sein und fanden es zu anstrengend, Freunde zu besuchen.
Mona sah auf die Uhr. 14.30. Es war Unsinn, weiter hier sitzen zu bleiben. Sie brachte ihre Tasse in die Küchennische und spülte sie gerade ab, als die Türglocke bimmelte. Die nassen Hände noch über dem Waschbecken steckte sie ihren Kopf aus der Nische und sah einen älteren Herrn, der vorsichtig den Laden betrat. Er trug einen lockigen, weißen Vollbart und einen dicken Wollmantel, den er vorsichtig ausklopfte. Sie wollte ihn schon bitten, eine Maske aufzusetzen- aber im letzten Moment beschloss sie, den letzten Kunden vor Weihnachten so zu begrüßen, wie sie es früher getan hatte: mit einem Lächeln. Der Luftfilter lief, das Fenster war gekippt, sie war geimpft und würde noch etwas mehr Abstand halten. Der Mann hielt ihr ungefragt ein auffälliges goldenes Handy mit dem nun schon vertrauten schwarz-weißen Code entgegen. „Dreifach“, sagte er.
Sie winkte ab und fragte: „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Wenn ich das wüsste“, sagte der Mann und sah sie treuherzig an. Er hatte sehr blaue Augen und rote Wangen von der Kälte und auf dem Mantel waren einige weiße Sprengsel zu sehen. Mona schaute heraus. Tatsächlich: Der Regen war in eine Art Schneeregen übergegangen.
Sie lächelte wieder. „Dann versuche ich es mal anders: Was suchen Sie denn?“
„Das ist es ja eben“, sagte der Mann. „Ich weiß es nicht. Ich habe gewissermaßen…“, er räusperte sich , „…Wunschzettel verloren.“
„Für wen war der Wunschzettel denn?“, fragte Mona. Wahrscheinlich hatte er eine halbwüchsige Enkelin und Angst, das Falsche auszusuchen.
„Der Wunschzettel?“, fragte der Mann. „Es sind Dutzende!“
„Oh!“, sagte sie. „Und sie wissen überhaupt nicht mehr, was drauf stand?“
„Nein, das ist es ja“, sagte der Mann. „Ich kann jetzt einfach nur auf gut Glück… ich kenne die Leute ja nicht mal.“
Das war allerdings merkwürdig. Was sollte das heißen?
„Ich… wie kommen sie denn an Wunschzettel von Leuten, die sie nicht kennen?“, fragte Mona. Sie überlegte, ob der Mann nicht aus dem nahegelegenen Pflegeheim für alleinstehende Seeleute ausgebüxt war. Sie hatte schon öfter welche von ihnen im Laden gehabt. Ältere Herren mit knorrigen Gesichtern und Manieren, die spazieren gingen und dann nicht mehr zurückfanden.
Der Mann hob die Hände und sagte: „Es ist mein Beruf. Und in all den Jahren ist mir sowas noch nie passiert. Eine Katastrophe!“
Kein Seemann. Wahrscheinlich eine Art Bote. Nun schien er seine Aufträge verloren zu haben. Und das an Weihnachten! Aber da war er bei Mona genau an der richtigen Adresse.
„Wissen Sie denn ungefähr, wie alt die Leute sind? Ob Männer oder Frauen?“
Der Mann zückte ein Handy und hielt es dicht vor seine Augen.
„Die Namen und das Alter habe ich, und die Adresse“, sagte er. „Bei einigen auch den Beruf.“
„Na, dann wollen wir mal“, sagte Mona. „Womit fangen wir an?“
Der Mann sah wieder auf sein Handy und sagte: „Annika Berthold, 48, Architektin.“
Architektin. Mona dachte einen Moment nach. Wahrscheinlich mochte sie keinen Schnickschnack, trug schwarz oder grau, wenig Schmuck, dafür aber einen knallroten Lippenstift. Sie ließ den Blick schweifen – dann lief sie einmal quer durch den Laden und griff in ein Regal. Hier zog sie vorsichtig eine blassrosa Decke heraus. Sie war sehr leicht und trotzdem warm, die Farbe ungewöhnlich, aber so zurückhaltend, dass sie zu allem passte. Und sie würde einer Frau Freude machen, die wahrscheinlich viel mit Ecken und Kanten in jeder Form zu tun hatte. Und der öfter mal kalt war. „Hier“, sagte Mona und hielt dem Mann die Decke entgegen. Er strich vorsichtig darüber und sah sie dann an. „Das ist… perfekt“, sagte er. „Können Sie es auch einpacken?“.
„Und wir sollten ein Namensschild daran binden“, schlug Mona vor. Ihr Handy surrte. „Kommst du bald?“ schrieb Martin. „Ich habe noch einen Kunden“, antwortete sie. „Danach.“
Immerhin hatten sie dieses Jahr keine Termine. Der Gottesdienst fiel ebenso aus wie das Turmblasen. Sie schlug die Decke vorsichtig in einen ihrer schönen Geschenkbögen, band eine dicke Schleife herum und legte das Preisschild neben die Kasse. „So“, sagte sie, „weiter geht‘s“.
Eine Stunde später stapelten sich die Pakete neben der Kasse. Kleine Päckchen, wie das für Clara Muschinsky, die 14 war und einen Aquamarin am Lederband bekam, und große, wie das für Karl Gerhard, 55, Steuerberater, dem sie einen irischen Whisky mit zwei Gläsern einpackte. Sie hatte ein Bauhaus-Memory für Mehmet Cengül, 6, ausgesucht und ein paar dicke Kaschmirsocken für Dora Liebermann, die schon 87 war. Der Mann hatte skeptisch ausgesehen, als sie ihm die Socken zeigte. „Socken? Für eine Dame? Sind Sie sich da sicher?“
„Ganz sicher!“, hatte Mona ihn beruhigt.
Um kurz vor vier waren sie fertig. Der Mann sah entschieden weniger verzweifelt aus und zückte eine glitzernde Kreditkarte, während Mona die Preise eintippte. Als sie die Summe hatte, erschrak sie selbst ein wenig: Das war der Umsatz einer guten Woche. Einer sehr guten Woche.
„Es ist ziemlich viel geworden“, sagte sie vorsichtig und nannte die Zahl.
„Schon in Ordnung“, antwortete der Mann und reichte ihr die Karte.
Sie sah auf den Namen. Der Mann hieß Santer, Klaus Santer. Sie musste lächeln. „Dann bedanke ich mich sehr herzlich, Herr Santer“, sagte sie.
„Ich bedanke mich bei Ihnen“, sagte der Mann. „Sie sind wirklich ein Engel.“
„Naja“, sagte sie. „Brauchen Sie eine Tüte?“
„Das wird nicht reichen“, sagte er. Beide sahen etwas ratlos auf den Stapel Geschenke.
„Ich habe eine Idee!“, rief Mona dann. Sie lief in ihren kleinen Lagerraum und schob ein paar Kisten zur Seite. Dann hatte sie gefunden, was sie suchte. „Schauen Sie mal“, sagte sie und hielt dem Mann einen großen Jutebeutel entgegen, der oben mit einer Schnur geschlossen werden konnte. Sie stapelten die Geschenke hinein und der Mann warf sich den Sack über die Schulter.
„Dann wünsche ich Ihnen frohe Weihnachten“, sagte er.
„Das wünsche ich Ihnen auch“, sagte Mona und sah ihm hinterher, wie er mit schnellen Schritten im Dunkel der Stadt verschwand.
Sie fühlte sich leicht und beschwingt. Während sie den Computer herunterfuhr und die Lichter löschte, summte sie „Jingle Bells“. Draußen griff sie nach ihrem Handy. „Du – nicht böse sein. Ja, ich komme jetzt. Ich hatte gerade jemanden, der den halben Laden gekauft hat.“ Sie steckte das Handy ein und wickelte den Schal etwas enger um den Hals, denn der Wind wehte ihr jetzt die dicken Flocken direkt ins Gesicht.
Die Glocken der alten Kirche begannen zu läuten und vor ihr hüpften zwei Jungs an den Händen ihrer Eltern den Bürgersteig entlang. Dann riss einer der beiden sich los und drehte sich in den Schneeflocken, bis er fast gegen sie fiel. Sie hielt ihn fest und lachte.
„Ich habe gerade den Weihnachtsmann gesehen!““, krähte der Junge und strahlte sie an.
„Wow!“, sagte Mona. „Cool. Woran hast du ihn erkannt?“
„Na, am Bart“, sagte der Junge, als habe sie gerade etwas ganz besonders Dummes gefragt. „Keiner sonst hat so einen Bart.“
„Klar“, sagte Mona, aber der Junge war schon weitergehüpft. Seine Eltern winkten ihr zu. „Frohe Weihnachten!“, rief die junge Frau.
„Gleichfalls“, rief Mona.
„Frohe Weihnachten!“
Silke Lambeck ist Autorin in Berlin und schrieb unter anderem „Das Weihnachtsmannprojekt“
Tagsüber schläft der Kater Mika. Oder er frisst. Oder er schmust mit Fritze. Aber was macht er eigentlich nachts? Er trifft sich mit seinen Freunden, sagt Opa. Er geht ins Restaurant, sagt Oma. Er macht Sport, sagt Mona.
Echt jetzt? Was wissen die Erwachsenen schon? Sie sind ja keine Kater!
Aber Mika weiß, was er macht. Und das erzählt er uns auch. Überraschung! Es ist alles ganz anders…
„Was macht der Kater, wenn ich schlafe?“ ist ein Buch zum Vorlesen, Selberlesen und natürlich für alle, die Katzen mögen. Hierkönnt Ihr reinlesen. Karsten Teich hat wundervolle Bilder dazu entworfen. Und wer mag, bekommt das Buch ab sofort in der Buchhandlung.
„Das reizvolle Hin und Her sprüht vor Witz, Abenteuern, skurrilen Figuren und komischen Missverständnissen, denen nur die Zuhörer/innen auf die Spur kommen“.
Stiftung Lesen
„….flüssig, herzlich und erfrischend direkt aus dem Leben geschrieben“.
Der Berliner Flughafen BER ist ein totaler Erfolg. Noch nie hat es in Deutschland so lange gedauert, einen Flughafen zu bauen. Er hat die meisten Pannen von allen. Er macht den höchsten Verlust, noch vor der Eröffnung. Jeder in der Welt kennt den Flughafen. Alle freuen sich darüber. Die Berliner geben den Menschen dort Arbeit für Jahrzehnte. Der Aufsichtsrat ist der beste Aufsichtsrat, den es je gab. Tolle Jungs. Totale Gewinner. Kommen den Fachleuten nie in die Quere. Der Kultursenator vermutet, dass er dabei sein darf, weil er für den Denkmalschutz zuständig ist. Und der Regierende Bürgermeister erst. Der beste Aufsichtsrat-Chef überhaupt. Hat die Eröffnungstermine im Gefühl. Immer neue.
Die Sprinkleranlage ist einzigartig. Sie war wahnsinnig teuer. Noch nie hat es eine so teure Sprinkleranlage ohne Funktion gegeben. Und so viele Türen, die nicht aufgehen. Es ist der Hammer! Niemand, der mit dem Flughafen zu tun hatte, wird ihn je vergessen. Er ist der leiseste Großflughafen, der je existierte. Großartig.
Alles läuft nach Plan. Wenn der Flughafen fertig wäre, würden noch viel mehr Touristen nach Berlin kommen: Totales Desaster. Die Stadtautobahn wäre überfüllt: Schlimm. Und Tegel müsste geschlossen werden: Traurig. Die Berliner sind glücklich mit ihrer Baustelle. Wer was anderes schreibt, ist voreingenommen und lügt. Schluss aus.
Die beste Zeit des Tages liegt im Moment zwischen sechs Uhr morgens und ein Uhr mittags Mitteleuropäischer Zeit. Das scheint die Spanne zu sein, in der Donald Trump schläft. Man würde ihm einen deutlich längeren Schlaf wünschen, noch besser wäre eine dauerhafte Narkolepsie, denn für ihn gilt insbesondere: Wer schläft, sündigt nicht. Hundertprozentig sicher ist das nicht, denn der Mann offenbart sich seit seiner Amtsübernahme als so ausufernd bösartig, dass auch sein Schlaf womöglich dunkle Geheimnisse birgt. Wahrscheinlich plagen ihn jede Nacht Alpträume, die er am nächsten Tag für alternative Fakten hält und dann sofort in panische Taten münden lässt.
Wir wussten, dass es schlimm kommt. Aber dass es so schnell so schlimm kommen würde, ist mittlerweile auch einigen Republikanern etwas heikel.Ein Präsident, der im Stundentakt Erlasse unterzeichnet, deren Folgen er ganz offensichtlich weder bedenkt noch bedauert, ist doch schwerer in Schach zu halten, als sie es hofften. Wie konnten sie auch? Zu denken, dass Trump im Weißen Haus Vernunft entwickelt, ist so, als ob man einen Fünfjährigen in den Spielzeugladen setzt und dann hofft, er würde freiwillig „Die kleine Geschichte des Universums lesen“ – möglich, aber äußerst unwahrscheinlich.
Manchmal entwickeln Menschen eine solche Hyperaktivität, wenn sie wissen, dass ihnen nur wenig Zeit bleibt. Womöglich kommt es ja so, dass diese Präsidentschaft schneller beendet ist, als er den nächsten Tweet absetzen kann. Sollte das nicht so sein: Vielleicht überzeugt irgendjemand im Weißen Haus den Chef, dass er ruhig etwas länger ruhen darf. Weil Kinder viel Schlaf brauchen. Und weil ohne ihn die Welt nicht untergeht.
Es gibt Dinge, die wirklich schmerzhaft und übel sind. So schmerzhaft und übel, dass man sich nur mit einem Gedanken trösten kann: Es geht vorbei. Der Berliner Winter. Liebeskummer. Zahnschmerzen. Die Präsidentschaft von Donald Trump.
Natürlich ist die Qualität dieser Grausamkeiten schon rein zeitlich sehr verschieden. Während jeder halbwegs vernünftige Mensch Zahnschmerzen zügig durch den Gang zum Zahnarzt beendet, können der Berliner Winter und ein ordentlicher Liebeskummer sehr lange dauern. Allerdings kann man dem Berliner Winter neben Spaziergängen im Schnee hochprozentige Alkoholika und dicke Romane entgegensetzen. Die beiden letzten Methoden bewähren sich sich auch bei Liebeskummer – ergänzt durch ausführliche Gespräche mit besten Freunden, neue Frisuren, melancholische Kinobesuche und Reisen in exotische Länder.
Was den neuen Präsidenten der USA angeht, müssen wir ganz stark sein: Er ist, als ob man im Berliner Winter Zahnschmerzen und Liebeskummer auf einmal hat. Wenn es schlimm kommt, müssen wir vier Jahre lang einem Mann zuhören, dessen Drei-Wort-Sätze aus Me, Myself und I bestehen, gerne in Verbindung mit great, greater und greatest.
Vier Jahre sind eine lange Zeit. Lang genug für: Hunderte fassungsloser New-York-Times-Kommentare und geschmeidiger Diekmann-Interviews, für Trumps Freundschaft mit Wladimir Putin und für Trumps Feindschaft mit Waldimir Putin, ein halbes Dutzend neuer BER-Eröffnungstermine, viele umwerfende Auftritte von John Oliver, sowie für eine Handvoll abgeschmetterter Impeachments, mehrere Oscars für Meryl Streep und Millionen posts auf twitter. Lang genug für die Romane, die wir schon immer lesen wollten. Von hochprozentigen Alkoholika, ausführlichen Gesprächen, melancholischen Kinobesuchen und Reisen in exotische Länder ganz zu schweigen.
Doch eines herrlichen Tages werden wir aufwachen – und es ist vorbei. Wir werden uns recken und strecken, den Schlaf aus den Glieder schütteln und erleichtert denken: Es war nur ein Alptraum. Und uns an der schönen, starken, schwarzen Frau freuen, die die erste Präsidentin der USA sein wird.
Es wird ja sehr viel auf 2016 rumgehackt, was einem für das arme Jahr fast schon leid tun kann. Hier also eine Liste der guten Nachrichten in diesem Jahr.
Es war der Montag vor Weihnachten. Brandstetter stand am Fenster seines Abgeordnetenbüros und starrte in den diesigen Nachmittag. Die kahlen Bäume Unter den Linden waren mit Leuchtgirlanden geschmückt und wenn er genau hinsah, konnte er leichtes Schneerieseln erkennen. Auf dem Mittelstreifen zwischen den Bäumen war eine kleine Eisbahn aufgebaut. Brandstetter sah den Kindern zu, die dort ihre Runden drehten. Ein kleiner Junge mit dunklen Locken bannte seinen Blick. Er stürzte immer wieder auf das glatte Eis, stand auf, lief strahlend ein paar Schritte, fiel wieder und ließ sich von seiner Mutter hochziehen. Brandstetter dachte an seinen eigenen Sohn, Lukas, der das Eislaufen ohne ihn gelernt hatte – wie überhaupt fast alles. Seufzend wandte sich Brandstetter dem Fenster ab. Der Bildschirmschoner tauchte die Aktendeckel auf seinem Schreibtisch in blaues Licht, sonst war das Zimmer dunkel. Brandstetter wollte gerade seine Schreibtischlampe anknipsen, als es klopfte. Er wunderte sich. Seine Sekretärin war bereits gegangen und er erwartete keinen Besuch. Ohnehin waren die meisten seiner Kollegen schon im Weihnachtsurlaub. Selbst Roth hatte sich bereits von ihm verabschiedet und etwas von „Weihnachtsgeschenke besorgen“ gemurmelt, bevor er aus seinem Büro eilte. Brandstetter wollte gerade „Herein!“ rufen als die Tür sich öffnete und ein Mann sich vorsichtig ins Zimmer schob. „Guten Tag“, sagte der Mann. „Guten Tag“ antwortete Brandstetter.
Der Mann war von unbestimmtem Alter, hatte die Lebensmitte allerdings hinter sich gelassen. Er hatte kräftig rote Wangen wie Menschen, die viel im Freien arbeiten. Sein grauer Vollbart war sorgfältig gestutzt und seine auffallend hellblauen Augen waren von Lachfältchen umgeben. Er trug einen schwarzen, etwas schäbigen Anzug, und ein weißes Hemd mit abgestoßenem Kragen. Die Anzughose steckte in schwarzen, fellbesetzten Stiefeln. Der Mann trat jetzt einen Schritt näher, wies auf die Sitzecke und fragte: „Darf ich?“ Brandstetter nickte, eher automatisch, um im selben Moment zu fragen: „Wer sind Sie?“ Der Mann hatte sich gesetzt, was seinen Bauch eindrucksvoll zur Geltung brachte. Er rückte ein wenig auf dem kantigen Sofa hin und her und sagte schließlich: „Ich bin Lobbyist.“
Brandstetter grinste. Natürlich. Lobbyisten belagerten ihn den lieben langen Tag. Sie schickten Einladungen zu Informationsveranstaltungen, schleppten ihn auf Sektempfänge, luden ihn zu teuren Mittagessen ein und machten hin und wieder Angebote, die unmoralisch zu nennen noch untertrieben gewesen wäre. Manche von ihnen traf er sogar privat; andere standen auf der schwarzen Telefonliste, die seine Sekretärin auf ihrem Schreibtisch liegen hatte. Wer auf dieser Liste stand, wurde unter keinen Umständen zu ihm verbunden. Meist handelte es sich dabei um Leute, deren erstaunlicher Rededrang von Brandstetter nur durch grobe Unhöflichkeit zu unterbrechen war und deren Hartnäckigkeit die Bedeutung ihrer Informationen bei weitem überstieg. Da Brandstetter ein höflicher und friedfertiger Mann war, vermied er den Kontakt mit dieser Sorte , wo immer es möglich war. Was jedoch die Angenehmen und die Unangenehmen verband, war, dass sie sich niemals Lobbyisten nennen würden. Lobbyismus war ein so hässliches Wort für einen doch ganz normalen und demokratischen Vorgang. Sie behaupteten, Interessen zu vertreten. Im Grunde genau die Interessen, die auch Brandstetter selbst im Wirtschaftsausschuss vertreten müsse, da er ja Volksvertreter sei und die Interessen der Interessenvertreter dem Grunde nach stets auch im Interesse des Volkes lägen. Logisch kombiniert sei es also in seinem, Brandstetters, Interesse, sich zum Interessenvertreter der Interessenvertreter zu machen. Dieser Mann aber, der jetzt auf Brandstetters Couch saß – warum hatte Brandstetter eigentlich noch nicht den Sicherheitsdienst gerufen? – dieser Mann behauptete, Lobbyist zu sein. Also war er keiner.
„Sie sind kein Lobbyist“, sagte Brandstetter. „Ich würde mich wirklich freuen, zu erfahren, wer Sie sind, aber Lobbyist sind Sie nicht.“ „Doch“ beharrte der Mann. „Ich bin Weihnachtslobbyist.“ „Hören Sie“, sagte Brandstetter, „mein Schreibtisch ist voll, wie Sie sehen, meine Familie wartet auf mich und in drei Tagen ist Weihnachten.“ „Eben“, sagte der Mann. „Was, eben?“, fragte Brandstetter. „In drei Tagen ist Weihnachten, darum bin ich hier. Nur an Weihnachten führen mich meine Geschäfte in die Hauptstadt.“ Brandstetter atmete tief durch und schwieg. Der Mann schwieg ebenfalls und sah ihn auf eine Art an, die nicht zu seinem abgetragenen Anzug und dem kaputten Hemdkragen passte. Er schaute wie ein Mann von Macht und Einfluss; wie ein Mann der um seine Bedeutung weiß und sich sicher sein konnte, dass andere das ebenfalls taten. Der Mann guckte wie Brandstetters Fraktionsvorsitzender. In einem Impuls, den Brandstetter später genau darauf zurückführen sollte, setzte er sich in den Sessel, der dem Mann gegenüber stand und sagte. „Okay. Erklären Sie mir was Sie wollen.“ „Ich möchte ein Weihnachtsgesetz“, sagte der Mann. „Ein Weihnachtsgesetz“, wiederholte Brandstetter. „Ja“, sagte der Mann. „Und was genau soll das sein, Ihr Weihnachtsgesetz?“, fragte Brandstetter. „Na ja, ich dachte an ein Gesetz, das alles rund um Weihnachten regelt“. „Zum Beispiel?“, fragte Brandstetter. „Zum Beispiel hätte ich gerne, dass der Verkauf von Schokoladenweihnachtsmännern vor November verboten wird.“ Brandstetter dachte an seinen Supermarkt, wo dieses Jahr an einem heißen Augusttag die ersten Weihnachtsmänner im Regal gestanden hatten, und musste unwillkürlich nicken.
Der Mann fühlte sich dadurch offensichtlich ermutigt und fuhr fort: „Das gleiche gilt für das Aufstellen von Weihnachtsbäumen und die Herstellung von Lebkuchen. Wer isst schon gerne vertrocknete Lebkuchen an Weihnachten.“ Brandstetter seufzte. „Guter Mann, wir haben einen freien Handel. Ich kann niemandem vorschreiben, ab wann er Schokoladenweihnachtsmänner verkauft.“ „Sie sind Politiker“, entgegnete der Mann. „Sie machen die Gesetze. Natürlich können Sie das vorschreiben. Sie schreiben den Leuten doch auch vor, dass an Feiertagen kein Flohmarkt stattfinden darf!“ „War’s das?“, fragte Brandstetter. „Natürlich nicht!“, rief der Mann. „In den Familien muss gesungen werden, Fernsehen wird verboten und außerdem“ – er machte eine bedeutungsvolle Pause – „verlange ich selbstgebackene Plätzchen und echte Kerzen am Weihnachtsbaum.“ Brandstetter war jetzt endgültig überzeugt, dass er es mit einem Verrückten zu tun zu hatte. Es war wohl doch besser, den Sicherheitsdienst zu rufen. Er erhob sich aus seinem Sessel, doch da rief der Mann: „Halt!“ Brandstetter ließ sich wieder fallen. „Das Wichtigste, ja überhaupt das Allerwichtigste, kommt ja noch“, sagte der Mann. Wahrscheinlich, dachte Brandstetter, würde er jetzt darauf bestehen, dass es am Heiligen Abend schneite. „Das Wichtigste ist, dass es weniger Geschenke gibt!“, rief der Mann. „Weniger Geschenke“, sagte Brandstetter. „Klar. Wir machen ein Gesetz in dem festgelegt wird, wie viele Geschenke jeder bekommt. Sind Sie irre, Mann?“
„Aber es ist wichtig“, sagte der Mann, jetzt etwas verzweifelt. „Weil die Kinder so viele Geschenke bekommen, erkennen Sie ihre Herzenswünsche nicht mehr.“ „Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten“, sagte Brandstetter. „Aber Sie scheinen doch eine recht romantische Vorstellung von Weihnachten zu haben. Kerzen, Lieder, selbstgebackene Plätzchen, Herzenswünsche… Für die meisten Menschen ist Weihnachten eine Abfolge arbeitsfreier Tage, an denen man sich im günstigsten Fall nur an Heilig Abend mit der Familie streitet und endlich mal acht Stunden hintereinander Fernsehen kann.“ „Aber das ist es doch gerade!“, rief der Mann. „Und es wird immer schlimmer. Wie soll ich denn noch arbeiten, wenn alles verschwindet, was an Weihnachten schön ist?“ „Ich weiß ja nicht, in welcher Branche Sie tätig sind“, sagte Brandstetter. „Aber im Prinzip ist unsere Wirtschaft mit dem Weihnachtsgeschäft recht zufrieden. Insbesondere die Elektronikbranche hat mir gerade neulich einen interessanten Überblick über die Entwicklung der Umsatzzahlen im vierten Quartal….“ Weiter kam er nicht, denn es klingelte etwas, das sich wie helles Glockenläuten anhörte und einem goldenen Handy entstammte, das der Mann jetzt aus der Tasche zog. Der Mann horchte aufmerksam in sein Telefon, fummelte einen zerknitterten Zettel aus der Anzugjacke und schrieb mit einem Bleistift ein Wort auf den Zettel, der bei näherem Hinsehen eine Art Liste war – mit Namen und Adressen, hinter denen jeweils ein Wort stand. „Immer diese Bestellungen in letzter Minute“, brummte er. „Gab’s früher auch nicht. Früher wurden vier Wochen vor Weihnachten die Wunschzettel fertig gemacht.“ Damit stopfte er den Zettel zurück in seine Anzugjacke. „Wo waren wir stehen geblieben?“
„Bei Ihrer Branche“, sagte Brandstetter. „Sie hatten mir noch gar nicht mitgeteilt, was genau Sie mit Weihnachten zu tun haben.“ „Ich betreibe eine Art Lieferservice“, sagte der Mann. „Ah, Logistik!“, sagte Brandstetter. „Sehr gute Entwicklung, besonders seit es das Internet gibt.“ „Hören Sie“, sagte der Mann jetzt etwas ungeduldig, „ich wollte mich mit Ihnen eigentlich über Weihnachten unterhalten. Was halten Sie von meinen Vorschlägen?“ „Wissen Sie“, sagte Brandstetter. „ich kann Sie verstehen. Sie sehnen sich nach einer heilen Welt. Einem Weihnachten wie wir es als Kinder kannten. Aber so etwas kann man nicht per Gesetz verordnen. Da könne man den Leuten genauso gut vorschreiben, dass sie an den Weihnachtsmann glauben müssen.“ „Sie glauben nicht an den Weihnachtsmann?“, fragte der Mann scharf. „Äh…, nein…, natürlich nicht“, sagte Brandstetter, „aber was ich noch sagen wollte….“
„Sie glauben nicht an den Weihnachtsmann!“, donnerte der Mann jetzt mit einer Stimme, die Brandstetter zum Schweigen brachte. „Das ist sehr, sehr interessant, Herr Brandstetter. Wer hat denn Ihrem Sohn Lukas im vergangenen Jahr das rote Fahrrad geschenkt, das er sich so glühend gewünscht hat?“ „Ich…äh, meine Frau…,“, sagte Brandstetter etwas perplex. „Nehme ich jedenfalls an.“ „So. Nehmen Sie an. Fragen Sie mal Ihre Frau. Und bei der Gelegenheit können Sie auch gleich nachfragen, was es mit der Uhr auf sich hatte, die Sie sich so dringend gewünscht hatten und die ihre Frau so hässlich fand.“ Brandstetter starrte ihn verblüfft an. Woher wusste der Mann von der Uhr? Er hatte sie bei einem Einkaufsbummel wenige Wochen vor Weihnachten gesehen und seiner Frau einen diskreten Hinweis gegeben, aber Marie fand die Uhr zu teuer und zu sportlich. Umso erstaunter war er gewesen, als die Uhr dann doch unter dem Weihnachtsbaum lag. Der Mann erhob sich jetzt mühsam von der flachen Couch. Er sah müde aus. „Ich muss leider gehen, Herr Brandstetter, ich habe noch viel zu tun“, sagte er. Brandstetter erhob sich ebenfalls. Er hatte das unangenehme Gefühl, dem Mann etwas schuldig geblieben zu sein. „Irgendwann wird es so sein, dass die Kinder ihre Wunschzettel im Kaufhaus abgeben, und die Geschenkpakete fertig geschnürt zu Hause abgeliefert werden“, sagte der Mann. „Aber so lange ich es kann, werde ich das verhindern. Und Sie sollten mir wirklich dabei helfen. Denken Sie darüber nach.“ Damit ging er zur Tür.
Brandstetter ging ihm hinterher. „Hören Sie, Herr…“ „Santer. Klaus Santer.“ „Herr Santer. Ich werde sehen, was sich tun lässt. Vielleicht wenn Sie noch mal beim Präsidenten des Einzelhandelsverbandes vorbeigingen…“ „Da war ich schon. Gestern.“, sagte Santer. Er stand jetzt in der Tür und drehte sich noch einmal zu Brandstetter um. „Danke, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben“, sagte er. „Und – schöne Weihnachten, Herr Brandstetter.“ „Schöne Weihnachten“, sagte Brandstetter und die Tür schloss sich hinter seinem Besucher. Einen Moment stand er unschlüssig mitten im Zimmer. Dann klingelte das Telefon. „Marie!“, rief Brandstetter, „ja….ja, ich weiß. Ich hab noch ein bisschen was wegzuarbeiten. Wahrscheinlich nehme ich den Zug um halb elf. Grüß den Kleinen von mir. Und sag mal Marie – dieses rote Fahrrad im letzten Jahr – das hattest Du doch besorgt, oder? Nicht… Aha… Hatte ich aus Berlin mitgebracht. Na. Jetzt, wo Du es sagst…. Natürlich…. Ja, ich freu mich auch. Bis später.“ Brandstetter legte den Hörer auf und stürzte zum Fenster. Auf dem Mittelstreifen sah er seinen Besucher entlang laufen. Über den Stiefeln trug er jetzt einen dicken dunkelroten Wollmantel mit weißem Pelzkragen. Als er an der Eisbahn vorbeikam strich er behutsam dem kleinen Jungen über die dunklen Locken. Seine Mutter lächelte und schaute dem alten Mann hinterher, der sich langsam, ganz langsam, im Schnee aufzulösen schien.
Journalistenbeschimpfung ist derzeit schwer in Mode und besonders ambitioniert geben sich in dieser Beziehung die AfD-und Pegida-Anhänger. Frauke Petry ist zwar beleidigt, wenn sie nicht zum Bundespresseball eingeladen wird, benutzt aber gern das widerliche Wort „Lügenpresse“. So gesehen hat der Berliner „Tagesspiegel“ heute dagegen angearbeitet, indem er dem Berliner AfD-Abgeordneten Andreas Wild gleich die erste Lokalseite zur Verfügung stellte. „Der Türke will meist Türke bleiben“ schwadroniert er dort im Interview und: „…bei verantwortungslosen Menschen, die Politik machen, ist das Kriterium der Kinderlosigkeit ein ausschlaggebendes“. Besonders interessant seine Antwort auf die Frage: „Was unterscheidet Ihrer Ansicht nach Deutsche von Ausländern?“ Sie lautet: „Im Gazastreifen wirft man seinen Müll aus dem Fenster, in Deutschland in die Mülltonne.“
Für diese Art der Verächtlichmachung ganzer Bevölkerungsgruppen sieht unser Strafgesetz einen eigenen Paragraphen vor. In § 130 heißt es:
gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt– oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
Seine Achtung vor dem Tagesspiegel sei gestiegen, teilt Wild bei Facebook mit. Wenn das mal kein schlechtes Zeichen ist.