Wir müssen reden. Müssen wir?

Es wird im Zusammenhang mit Pegida sehr viel davon geredet, dass man reden müsse. Ersatzweise: Dass man zuhören müsse. Das Ganze erweckt ein wenig den Eindruck, als sei es einigen Menschen unmöglich, ihre Meinung zu äußern oder sich in entsprechenden Gremien Gehör zu verschaffen. Das ist angesichts der insgesamt äußerst demokratischen Organisation unseres Landes einigermaßen erstaunlich. Neben einer Unmenge von Mitbestimmungsgremien gibt es die Parteien. Jeder, der nicht bei drei auf den Bäumen ist, kann es innerhalb kürzester Zeit zum stellvertretenden Abteilungsvorsitzenden bringen. Mit etwas mehr Zeit und Aufwand ist man ratzfatz Bezirks- oder Landesdelegierter und darf über die großen Linien der Parteipolitik mitbestimmen. Wer einmal die Parteitage großer Parteien verfolgt, wird mit Erstaunen feststellen, dass sogar diejenigen auf großer Bühne reden dürfen, denen nicht nur die Gabe zum Reden, sondern hin und wieder auch die Gabe zum Denken fehlt. Um es kurz zu machen: Bei Einhaltung minimalster Formalien darf bei uns so ziemlich jeder alles sagen und hat gute Chancen, von vielen gehört zu werden. Eine ebenfalls bewährte Methode, um gehört zu werden, ist – Überraschung! – mit Journalisten zu sprechen.Da diese von den Pegida-Anhängern wahlweise behindert, beleidigt oder mit Prügel bedroht werden, steht es um das Verhältnis nicht zum Besten. Man kann aber nicht sagen, dass sie nicht versucht hätten, zuzuhören. Dass die Pegida-Demonstranten bisher von niemandem gehört worden sind, ist also offensichtlich Zeugnis ihres eigenen Verhaltens, ihrer Trägheit und ihrer mangelnden Kenntnis demokratischer Zusammenhänge. Dass Herr Tillich jetzt durch die Aussage, der Islam gehöre nicht zu Sachsen signalisieren will, er habe verstanden, ist erbärmlich. Dass Sigmar Gabriel meint, sich in Kumpelmontur zum Zuhören aufmachen zu müssen, mindestens fragwürdig. Vielleicht wäre es nicht falsch, den Demonstranten die Grundzüge demokratischer Willensbildung zu erläutern. Zweifelhaft ist, dass sie zuhören. Grafik: Selena Wilke