Hiergeblieben! (Bitte…)

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat gestern die Juden Europas aufgefordert, aus Sicherheitsgründen nach Israel auszuwandern. Er tat das unter dem Eindruck des schrecklichen Anschlags von Kopenhagen und sagte bereits dasselbe nach den Anschlägen von Paris, bei dem vier Menschen jüdischen Glaubens ums Leben kamen. Man könnte es als begründete Besorgnis interpretieren, wenn man nicht gleichzeitig den Eindruck haben müsste, dass Netanjahu, der innenpolitisch stark unter Druck steht, die Anschläge politisch instrumentalisiert.

Tatsächlich ist der Aufruf so infam wie unsinnig. Infam, weil er den europäischen Staaten eine Mitschuld am Tod jüdischer Bürger zuschreibt, wenn sie diese nicht vor dem Terror islamistischer Gruppen oder Einzeltäter schützen konnten. Europa dabei Absicht oder auch nur Fahrlässigkeit zu unterstellen, überschätzt die Möglichkeiten einer zivilen Gesellschaft, sich gegen zu allem entschlossene Terroristen zu verteidigen. Absolute Sicherheit ist nur mit dem absoluten Verlust der Freiheit zu erkaufen.

Unsinnig ist der Aufruf, weil in Israel selbst in den vergangenen Jahren mehr jüdische Menschen durch selbstmörderischen Terror umgekommen sind, als in sämtlichen europäischen Staaten zusammengenommen. Um den Kreis zu schließen: Israel schützt seine eigenen Bürger leider mit wenig Erfolg. Wenn man die puren Zahlen zugrundelegt, müsste Netanjahu seine eigenen Bürger zur Auswanderung aufrufen.

Ja, es gibt Antisemitismus in europäischen Ländern und ja, jüdische Einrichtungen sind noch immer besonders gefährdet. Darum werden sie in den meisten Ländern sorgfältig geschützt. Es ist polemisch, die Juden zur Ausreise nach Israel aufzufordern. Es schürt die Angst. Es spielt den Terroristen in die Hände. Es negiert, dass jüdische Menschen ihre Heimat in vielen Teilen Europas haben. Dass sie willkommen sind und Freunde haben. Wir möchten, dass sie bleiben.