Der Tagesspiegel hat in seiner Ausgabe von Samstag eine bemerkenswerte Dokumentation des sogenannten „Maskenmann-Falles“ abgedruckt. Es handelt sich um die detaillierte Aufschlüsselung eines Ermittlungsprozesses der – falls auch nur die Hälfte der Tatsachen im Tagesspiegel stimmt – alle Züge eines Justizskandals trägt. Neben Spuren, die nicht verfolgt wurden, gibt es andere, die solange hingebogen wurden, dass sie als Schuldindizien ausreichten. Es gibt Kommissare, die unter Protest den Dienst quittierten und andere, die von den Ermittlungen abgezogen wurden, weil sie die falschen Fragen stellten. Insgesamt liest sich die Geschichte wie die Sorte Tatort-Plot, die bei Twitter in Grund und Boden geschrieben wird – weil eine solche Reihe an Unglaublichkeiten nicht in einen einzigen Fall zu passen scheint.
Wie es der Zufall will, befasste sich auch die Süddeutsche Zeitung an diesem Tag mit Justizirrtümern. Ein Richter am Bundesgerichtshof schätzt in diesem Artikel, dass jedes vierte Strafurteil ein Fehlurteil ist. Einer der Gründe dafür liege darin, dass die Ermittlungsarbeit oft unbewusst auf das vermutete Ergebnis gelenkt und andere Spuren außer Acht gelassen werden. Diese Ermittlungsakten geben für Richter und Staatsanwälte dann manchmal nicht mehr her, als eine Schuld anzunehmen, die es so nie gab. Es gibt viele bekannte Beispiele von Menschen, die teils nach jahrzehntelanger Haft von jeder Schuld freigesprochen wurden.
Es sind oft genug Journalisten, die durch ihre Hartnäckigkeit und ihre manchmal jahrelange Recherche dafür arbeiten, dass Unschuldige entlassen werden. Es war die Süddeutsche Zeitung, die den Unterbringungsskandal um Gustl Mollath solange angeprangert hat, bis der Mann frei kam. Es war die Zeit, die in ihrem Dossier jahrelang unklare Rechtsfälle aufgearbeitet hat. Jetzt ist es der Tagesspiegel, der womöglich in letzter Minute einen Unschuldigen vor dem Gefängnis bewahrt. Es sind Journalisten, die etwas für uns alle tun, was nicht hoch genug geschätzt werden kann: Sie retten den Rechtsstaat, wo er versagt.