Wir Rind, das Volk

Es hat etwas Tragikomisches, wie die Briten sich jetzt mit dem Ergebnis ihrer eigenen Volksbefragung auseinandersetzen. Während die einen verzweifelt versuchen, den Brexit durch die Hintertür zu verhindern, sind andere am Freitagmorgen aufgewacht und haben sich gewundert, dass ihre Stimme etwas bewirkt. Denen möchte man zurufen: Ja, so ist das in einer Demokratie. Darum heißt sie auch Herrschaft des Volkes.

Ein interessanter Nebenaspekt des britischen Referendums: Auch die Politiker sind endlos erstaunt, dass ihre großmäuligen Ankündigungen ernst genommen wurden. Während Nigel Farage schon alles nicht mehr so gemeint haben will, ist Boris Johnson seit Freitag  in der Versenkung verschwunden und schwafelt, wenn er denn mal auftaucht, dass alles so bleiben könnte wie vorher. Nur ohne EU. Der Auslöser des ganzen Elends, David Cameron, sitzt weinend in der Downing Street und verflucht den Tag, an dem er sich hat hinreißen lassen, das Volk zu befragen.

Und damit hat er verdammt Recht. Es gibt Dinge, die so überschaubar sind, dass sie sich jederzeit für eine Volksbefragung eignen. Nehmen wir zum Beispiel den Fahrradverkehr in Berlin. Jeder ist imstande, sich eine Meinung darüber zu bilden, ob er oder sie eine bessere Infrastruktur für Radfahrer möchte. Man muss abwägen, wie viel Geld es der Stadt wert sein sollte,  wie es sich auf den Autoverkehr auswirkt und in welcher Zeit Verbesserungen realistisch sein könnten. Soviel Weitsicht ist den meisten Bürgern zuzutrauen.

Der Ausstieg aus der EU ist allerdings nicht direkt mit dem Fahrradverkehr in Berlin vergleichbar. Ganz offenbar hat die Komplexität des Vorgangs das Volk völlig überrascht. Hinterher. Zumindest gaben am Sonntag bereits sieben Prozent der „Brexit“-Befürworter an, ihre Entscheidung zu bedauern. Und aus dem Unterhaus kommen bereits erste Stimmen, die das Ergebnis der Befragung für nicht bindend halten.

Und so hält das britische Referendum einige Lektionen für jeden Politiker bereit, der demnächst in Versuchung sein sollte, sein Volk zu befragen:

  1. Denke nie, Du kriegst die Antwort, die Du gerne hättest.
  2. Verlass Dich nicht darauf, dass Argumente über Emotionen siegen.
  3. Daher: Mach Deinen Job, und triff die Entscheidungen selbst.
  4. Lebe mit den Folgen.
  5. Sei unbeliebt.
  6. Lass Dich, wenn es hart auf hart kommt, abwählen.

So geht Demokratie.