Autor: silkelambeck

Good news

Es wird ja sehr viel auf 2016 rumgehackt, was einem für das arme Jahr fast schon leid tun kann. Hier also eine Liste der guten Nachrichten in diesem Jahr.

  1. Mick Jagger lebt.
  2.  Die Engländer wollten gar nicht aus der EU austreten. Sie hielten die Brexit-Entscheidung  für eine unverbindliche Meinungsumfrage.
  3. Der BER soll immer noch eröffnet werden. Doch. Wirklich.
  4. Nur rund ein Viertel der Amerikaner hat Donald Trump gewählt.
  5. Markus Söder bleibt in Bayern.
  6. Toni Erdmann
  7. Es gibt in der Türkei noch Journalisten, die nicht im Gefängnis sitzen.
  8. Christiano Ronaldos Tränen bei der EM.
  9. Leonardo di Caprio hat endlich den Oscar bekommen.
  10. Jan Böhmermann.
  11. 85,9 Prozent der Berliner haben die AfD nicht gewählt.
  12. Angelina und Brad sind auch nur Menschen.
  13. Der Kubeben-Pfeffer ist die Heilpflanze des Jahres 2016.
  14. Die unerreichbare Quote von 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten von  börsennotierten Unternehmen ist erreicht.
  15. Hu Hu Hu! Jetzt kennt jeder Island.
  16. Das Jahr ist in zwei Tagen vorbei.

 

Foto: Pixabay

Brandstetter bekommt Besuch

Es war der Montag vor Weihnachten. Brandstetter stand am Fenster seines Abgeordnetenbüros und starrte in den diesigen Nachmittag. Die kahlen Bäume Unter den Linden waren mit Leuchtgirlanden geschmückt und wenn er genau hinsah, konnte er leichtes Schneerieseln erkennen. Auf dem Mittelstreifen zwischen den Bäumen war eine kleine Eisbahn aufgebaut. Brandstetter sah den Kindern zu, die dort ihre Runden drehten. Ein kleiner Junge mit dunklen Locken bannte seinen Blick. Er stürzte immer wieder auf das glatte Eis, stand auf, lief strahlend ein paar Schritte, fiel wieder und ließ sich von seiner Mutter hochziehen. Brandstetter dachte an seinen eigenen Sohn, Lukas, der das Eislaufen ohne ihn gelernt hatte – wie überhaupt fast alles. Seufzend wandte sich Brandstetter dem Fenster ab. Der Bildschirmschoner tauchte die Aktendeckel auf seinem Schreibtisch in blaues Licht, sonst war das Zimmer dunkel. Brandstetter wollte gerade seine Schreibtischlampe anknipsen, als es klopfte. Er wunderte sich. Seine Sekretärin war bereits gegangen und er erwartete keinen Besuch. Ohnehin waren die meisten seiner Kollegen schon im Weihnachtsurlaub. Selbst Roth hatte sich bereits von ihm verabschiedet und etwas von „Weihnachtsgeschenke besorgen“ gemurmelt, bevor er aus seinem Büro eilte. Brandstetter wollte gerade „Herein!“ rufen als die Tür sich öffnete und ein Mann sich vorsichtig ins Zimmer schob. „Guten Tag“, sagte der Mann. „Guten Tag“ antwortete Brandstetter.

Der Mann war von unbestimmtem Alter, hatte die Lebensmitte allerdings hinter sich gelassen. Er hatte kräftig rote Wangen wie Menschen, die viel im Freien arbeiten. Sein grauer Vollbart war sorgfältig gestutzt und seine auffallend hellblauen Augen waren von Lachfältchen umgeben. Er trug einen schwarzen, etwas schäbigen Anzug, und ein weißes Hemd mit abgestoßenem Kragen. Die Anzughose steckte in schwarzen, fellbesetzten Stiefeln. Der Mann trat jetzt einen Schritt näher, wies auf die Sitzecke und fragte: „Darf ich?“ Brandstetter nickte, eher automatisch, um im selben Moment zu fragen: „Wer sind Sie?“ Der Mann hatte sich gesetzt, was seinen Bauch eindrucksvoll zur Geltung brachte. Er rückte ein wenig auf dem kantigen Sofa hin und her und sagte schließlich: „Ich bin Lobbyist.“

Brandstetter grinste. Natürlich. Lobbyisten belagerten ihn den lieben langen Tag. Sie schickten Einladungen zu Informationsveranstaltungen, schleppten ihn auf Sektempfänge, luden ihn zu teuren Mittagessen ein und machten hin und wieder Angebote, die unmoralisch zu nennen noch untertrieben gewesen wäre. Manche von ihnen traf er sogar privat; andere standen auf der schwarzen Telefonliste, die seine Sekretärin auf ihrem Schreibtisch liegen hatte. Wer auf dieser Liste stand, wurde unter keinen Umständen zu ihm verbunden. Meist handelte es sich dabei um Leute, deren erstaunlicher Rededrang von Brandstetter nur durch grobe Unhöflichkeit zu unterbrechen war und deren Hartnäckigkeit die Bedeutung ihrer Informationen bei weitem überstieg. Da Brandstetter ein höflicher und friedfertiger Mann war, vermied er den Kontakt mit dieser Sorte , wo immer es möglich war. Was jedoch die Angenehmen und die Unangenehmen verband, war, dass sie sich niemals Lobbyisten nennen würden. Lobbyismus war ein so hässliches Wort für einen doch ganz normalen und demokratischen Vorgang. Sie behaupteten, Interessen zu vertreten. Im Grunde genau die Interessen, die auch Brandstetter selbst im Wirtschaftsausschuss vertreten müsse, da er ja Volksvertreter sei und die Interessen der Interessenvertreter dem Grunde nach stets auch im Interesse des Volkes lägen. Logisch kombiniert sei es also in seinem, Brandstetters, Interesse, sich zum Interessenvertreter der Interessenvertreter zu machen. Dieser Mann aber, der jetzt auf Brandstetters Couch saß – warum hatte Brandstetter eigentlich noch nicht den Sicherheitsdienst gerufen? – dieser Mann behauptete, Lobbyist zu sein. Also war er keiner.

„Sie sind kein Lobbyist“, sagte Brandstetter. „Ich würde mich wirklich freuen, zu erfahren, wer Sie sind, aber Lobbyist sind Sie nicht.“ „Doch“ beharrte der Mann. „Ich bin Weihnachtslobbyist.“ „Hören Sie“, sagte Brandstetter, „mein Schreibtisch ist voll, wie Sie sehen, meine Familie wartet auf mich und in drei Tagen ist Weihnachten.“ „Eben“, sagte der Mann. „Was, eben?“, fragte Brandstetter. „In drei Tagen ist Weihnachten, darum bin ich hier. Nur an Weihnachten führen mich meine Geschäfte in die Hauptstadt.“ Brandstetter atmete tief durch und schwieg. Der Mann schwieg ebenfalls und sah ihn auf eine Art an, die nicht zu seinem abgetragenen Anzug und dem kaputten Hemdkragen passte. Er schaute wie ein Mann von Macht und Einfluss; wie ein Mann der um seine Bedeutung weiß und sich sicher sein konnte, dass andere das ebenfalls taten. Der Mann guckte wie Brandstetters Fraktionsvorsitzender. In einem Impuls, den Brandstetter später genau darauf zurückführen sollte, setzte er sich in den Sessel, der dem Mann gegenüber stand und sagte. „Okay. Erklären Sie mir was Sie wollen.“ „Ich möchte ein Weihnachtsgesetz“, sagte der Mann. „Ein Weihnachtsgesetz“, wiederholte Brandstetter. „Ja“, sagte der Mann. „Und was genau soll das sein, Ihr Weihnachtsgesetz?“, fragte Brandstetter. „Na ja, ich dachte an ein Gesetz, das alles rund um Weihnachten regelt“. „Zum Beispiel?“, fragte Brandstetter. „Zum Beispiel hätte ich gerne, dass der Verkauf von Schokoladenweihnachtsmännern vor November verboten wird.“ Brandstetter dachte an seinen Supermarkt, wo dieses Jahr an einem heißen Augusttag die ersten Weihnachtsmänner im Regal gestanden hatten, und musste unwillkürlich nicken.

Der Mann fühlte sich dadurch offensichtlich ermutigt und fuhr fort: „Das gleiche gilt für das Aufstellen von Weihnachtsbäumen und die Herstellung von Lebkuchen. Wer isst schon gerne vertrocknete Lebkuchen an Weihnachten.“ Brandstetter seufzte. „Guter Mann, wir haben einen freien Handel. Ich kann niemandem vorschreiben, ab wann er Schokoladenweihnachtsmänner verkauft.“ „Sie sind Politiker“, entgegnete der Mann. „Sie machen die Gesetze. Natürlich können Sie das vorschreiben. Sie schreiben den Leuten doch auch vor, dass an Feiertagen kein Flohmarkt stattfinden darf!“ „War’s das?“, fragte Brandstetter. „Natürlich nicht!“, rief der Mann. „In den Familien muss gesungen werden, Fernsehen wird verboten und außerdem“ – er machte eine bedeutungsvolle Pause – „verlange ich selbstgebackene Plätzchen und echte Kerzen am Weihnachtsbaum.“ Brandstetter war jetzt endgültig überzeugt, dass er es mit einem Verrückten zu tun zu hatte. Es war wohl doch besser, den Sicherheitsdienst zu rufen. Er erhob sich aus seinem Sessel, doch da rief der Mann: „Halt!“ Brandstetter ließ sich wieder fallen. „Das Wichtigste, ja überhaupt das Allerwichtigste, kommt ja noch“, sagte der Mann. Wahrscheinlich, dachte Brandstetter, würde er jetzt darauf bestehen, dass es am Heiligen Abend schneite. „Das Wichtigste ist, dass es weniger Geschenke gibt!“, rief der Mann. „Weniger Geschenke“, sagte Brandstetter. „Klar. Wir machen ein Gesetz in dem festgelegt wird, wie viele Geschenke jeder bekommt. Sind Sie irre, Mann?“

„Aber es ist wichtig“, sagte der Mann, jetzt etwas verzweifelt. „Weil die Kinder so viele Geschenke bekommen, erkennen Sie ihre Herzenswünsche nicht mehr.“ „Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten“, sagte Brandstetter. „Aber Sie scheinen doch eine recht romantische Vorstellung von Weihnachten zu haben. Kerzen, Lieder, selbstgebackene Plätzchen, Herzenswünsche… Für die meisten Menschen ist Weihnachten eine Abfolge arbeitsfreier Tage, an denen man sich im günstigsten Fall nur an Heilig Abend mit der Familie streitet und endlich mal acht Stunden hintereinander Fernsehen kann.“ „Aber das ist es doch gerade!“, rief der Mann. „Und es wird immer schlimmer. Wie soll ich denn noch arbeiten, wenn alles verschwindet, was an Weihnachten schön ist?“ „Ich weiß ja nicht, in welcher Branche Sie tätig sind“, sagte Brandstetter. „Aber im Prinzip ist unsere Wirtschaft mit dem Weihnachtsgeschäft recht zufrieden. Insbesondere die Elektronikbranche hat mir gerade neulich einen interessanten Überblick über die Entwicklung der Umsatzzahlen im vierten Quartal….“ Weiter kam er nicht, denn es klingelte etwas, das sich wie helles Glockenläuten anhörte und einem goldenen Handy entstammte, das der Mann jetzt aus der Tasche zog. Der Mann horchte aufmerksam in sein Telefon, fummelte einen zerknitterten Zettel aus der Anzugjacke und schrieb mit einem Bleistift ein Wort auf den Zettel, der bei näherem Hinsehen eine Art Liste war – mit Namen und Adressen, hinter denen jeweils ein Wort stand. „Immer diese Bestellungen in letzter Minute“, brummte er. „Gab’s früher auch nicht. Früher wurden vier Wochen vor Weihnachten die Wunschzettel fertig gemacht.“ Damit stopfte er den Zettel zurück in seine Anzugjacke. „Wo waren wir stehen geblieben?“

„Bei Ihrer Branche“, sagte Brandstetter. „Sie hatten mir noch gar nicht mitgeteilt, was genau Sie mit Weihnachten zu tun haben.“ „Ich betreibe eine Art Lieferservice“, sagte der Mann. „Ah, Logistik!“, sagte Brandstetter. „Sehr gute Entwicklung, besonders seit es das Internet gibt.“ „Hören Sie“, sagte der Mann jetzt etwas ungeduldig, „ich wollte mich mit Ihnen eigentlich über Weihnachten unterhalten. Was halten Sie von meinen Vorschlägen?“ „Wissen Sie“, sagte Brandstetter. „ich kann Sie verstehen. Sie sehnen sich nach einer heilen Welt. Einem Weihnachten wie wir es als Kinder kannten. Aber so etwas kann man nicht per Gesetz verordnen. Da könne man den Leuten genauso gut vorschreiben, dass sie an den Weihnachtsmann glauben müssen.“ „Sie glauben nicht an den Weihnachtsmann?“, fragte der Mann scharf. „Äh…, nein…, natürlich nicht“, sagte Brandstetter, „aber was ich noch sagen wollte….“

„Sie glauben nicht an den Weihnachtsmann!“, donnerte der Mann jetzt mit einer Stimme, die Brandstetter zum Schweigen brachte. „Das ist sehr, sehr interessant, Herr Brandstetter. Wer hat denn Ihrem Sohn Lukas im vergangenen Jahr das rote Fahrrad geschenkt, das er sich so glühend gewünscht hat?“ „Ich…äh, meine Frau…,“, sagte Brandstetter etwas perplex. „Nehme ich jedenfalls an.“ „So. Nehmen Sie an. Fragen Sie mal Ihre Frau. Und bei der Gelegenheit können Sie auch gleich nachfragen, was es mit der Uhr auf sich hatte, die Sie sich so dringend gewünscht hatten und die ihre Frau so hässlich fand.“ Brandstetter starrte ihn verblüfft an. Woher wusste der Mann von der Uhr? Er hatte sie bei einem Einkaufsbummel wenige Wochen vor Weihnachten gesehen und seiner Frau einen diskreten Hinweis gegeben, aber Marie fand die Uhr zu teuer und zu sportlich. Umso erstaunter war er gewesen, als die Uhr dann doch unter dem Weihnachtsbaum lag. Der Mann erhob sich jetzt mühsam von der flachen Couch. Er sah müde aus. „Ich muss leider gehen, Herr Brandstetter, ich habe noch viel zu tun“, sagte er. Brandstetter erhob sich ebenfalls. Er hatte das unangenehme Gefühl, dem Mann etwas schuldig geblieben zu sein. „Irgendwann wird es so sein, dass die Kinder ihre Wunschzettel im Kaufhaus abgeben, und die Geschenkpakete fertig geschnürt zu Hause abgeliefert werden“, sagte der Mann. „Aber so lange ich es kann, werde ich das verhindern. Und Sie sollten mir wirklich dabei helfen. Denken Sie darüber nach.“ Damit ging er zur Tür.

Brandstetter ging ihm hinterher. „Hören Sie, Herr…“ „Santer. Klaus Santer.“ „Herr Santer. Ich werde sehen, was sich tun lässt. Vielleicht wenn Sie noch mal beim Präsidenten des Einzelhandelsverbandes vorbeigingen…“ „Da war ich schon. Gestern.“, sagte Santer. Er stand jetzt in der Tür und drehte sich noch einmal zu Brandstetter um. „Danke, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben“, sagte er. „Und – schöne Weihnachten, Herr Brandstetter.“ „Schöne Weihnachten“, sagte Brandstetter und die Tür schloss sich hinter seinem Besucher. Einen Moment stand er unschlüssig mitten im Zimmer. Dann klingelte das Telefon. „Marie!“, rief Brandstetter, „ja….ja, ich weiß. Ich hab noch ein bisschen was wegzuarbeiten. Wahrscheinlich nehme ich den Zug um halb elf. Grüß den Kleinen von mir. Und sag mal Marie – dieses rote Fahrrad im letzten Jahr – das hattest Du doch besorgt, oder? Nicht… Aha… Hatte ich aus Berlin mitgebracht. Na. Jetzt, wo Du es sagst…. Natürlich…. Ja, ich freu mich auch. Bis später.“ Brandstetter legte den Hörer auf und stürzte zum Fenster. Auf dem Mittelstreifen sah er seinen Besucher entlang laufen. Über den Stiefeln trug er jetzt einen dicken dunkelroten Wollmantel mit weißem Pelzkragen. Als er an der Eisbahn vorbeikam strich er behutsam dem kleinen Jungen über die dunklen Locken. Seine Mutter lächelte und schaute dem alten Mann hinterher, der sich langsam, ganz langsam, im Schnee aufzulösen schien.

 

Copyright: Silke Lambeck

Traurig sein

Was ich heute alles nicht will:

  • Ich will nicht auf einen Weihnachtsmarkt gehen müssen, „weil wir uns von denen nicht unser Leben diktieren lassen“
  • Ich will nicht über die Notwendigkeit diskutieren, den Flüchtlingszuzug zu begrenzen.
  • Ich will keine widerlichen tweets der AfD lesen. Noch nicht mal ex negativo.
  • Ich will nicht für mehr Toleranz demonstrieren.
  • Ich will mir nicht diktieren lassen, mit welchen Gefühlen ich mich mich zu Komplizen der Terroristen mache.
  • Ich will mir überhaupt keine Gefühle diktieren lassen.
  • Ich will es nicht als „Nachgeben“ empfinden, wenn wir traurig sind.
  • Ich will nicht schon wissen, was ein solcher Anschlag für die Zukunft in unserem Land heißt
  • Ich will nicht  an unsere Werte erinnert werden. Ich kenne unsere Werte, danke.
  • Ich will mich nicht mahnen lassen, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Morgen vielleicht. Nicht heute.

Kleiner Mann ganz groß

Journalistenbeschimpfung ist derzeit schwer in Mode und besonders ambitioniert geben sich in dieser Beziehung die AfD-und Pegida-Anhänger. Frauke Petry ist zwar beleidigt, wenn sie nicht zum Bundespresseball eingeladen wird, benutzt aber gern das widerliche Wort  „Lügenpresse“. So gesehen hat der Berliner „Tagesspiegel“ heute dagegen angearbeitet, indem er dem Berliner AfD-Abgeordneten Andreas Wild gleich die erste Lokalseite  zur Verfügung stellte. „Der Türke will meist Türke bleiben“ schwadroniert er dort im Interview und: „…bei verantwortungslosen Menschen, die Politik machen, ist das Kriterium der Kinderlosigkeit ein ausschlaggebendes“. Besonders interessant seine Antwort auf die Frage: „Was unterscheidet Ihrer Ansicht nach Deutsche von Ausländern?“ Sie lautet: „Im Gazastreifen wirft man seinen Müll aus dem Fenster, in Deutschland in die Mülltonne.“

Für diese Art der Verächtlichmachung ganzer Bevölkerungsgruppen sieht unser Strafgesetz einen eigenen Paragraphen vor. In § 130 heißt es:

„Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

  1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt– oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
  2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,

wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

Seine Achtung vor dem Tagesspiegel sei gestiegen, teilt Wild bei Facebook mit. Wenn das mal kein schlechtes Zeichen ist.

Bild: Pixabay

Lassen wir die Sau raus!

Es ist schlimm genug, dass Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden ist. Fast noch schlimmer ist die fast schon masochistisch zu nennende Selbstbezichtigung, die jetzt Liberale und Journalisten – auch in Deutschland –  betreiben.  Man habe nicht zugehört, man habe ganze Bevölkerungsgruppen aus dem Blick verloren mit ihren Ängsten und Wünschen. „Die deutsche Politik wie die Publizistik stehen vor den Scherben ihrer Weltanschauung“, unkte es in der „Welt“. Ist das so?

Tatsächlich spielen soziale Fragen sowohl in der Politik als auch im Journalismus eine außerordentlich große Rolle. Und tatsächlich verfügen beide Berufsgruppen im besten Fall über ein Grundgerüst an Werten, das da lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Daraus ergibt sich im Grunde alles Weitere.

Donald Trump hingegen hat sich im Wahlkampf sexistisch, rassistisch und hasserfüllt geäußert. Er hat es salonfähig gemacht, dass die sogenannte „politische  Korrektheit“ über Bord geworfen wurde. Das wünschen sich auch hier viele – ganz vorne die Anhänger der AfD, aber längst auch Wähler und Publizisten, die sich selbst der bürgerlichen Mitte. zuordnen würden. Offensichtlich gibt es ein große Bedürfnis, endlich wieder jede Gemeinheit gegen Migranten, Frauen, Homosexuelle, Behinderte-  oder wer auch immer individuell als verachtenswert empfunden wird –  von sich zu geben. Das „Man-wird-ja-wohl-noch-sagen-dürfen“ als politisches Programm.

Es ist aber ein zivilisatorischer Prozess,  das nicht zu tun. Es ist eine Errungenschaft. Es ist eine Frage der Höflichkeit und der Form – aber eine, die zum Inhalt wird.

Die Antwort auf Donald Trump, auf LePen und  Höcke – und vor allem auf die, die sie wählen – kann nicht heißen, dass wir uns dieser Art des Diskurses anschließen. Natürlich Zuhören – solange ich nicht angebrüllt oder mit dem Tode bedroht werde. Natürlich Reden –  wenn es nicht um zügelloses Herausschreien von Ressentiments geht. Über jeden Inhalt kann man in den Dialog treten. Aber sicher nicht darüber, ob Menschen weniger wert sind, weil sie zu weiblich, zu schwarz, zu muslimisch oder zu homosexuell sind. Was, ehrlich gesagt, gibt es da zu reden?

Wenn wir  nicht so weitermachen wollen wie bisher, müssen wir uns ändern. Wir sollten radikaler werden.  Lassen wir endlich die Sau raus. Unsere schöne, gut erzogene, politisch korrekte Sau.

Die zweitwichtigsten Fragen

Es ist im Moment sehr interessant zu beobachten, worüber wir uns aufregen. Nehmen wir zum Beispiel das Vollverschleierungs-Verbot, wie es korrekt heißen müsste. Denn in den meisten Fällen geht es nicht um die afghanische Burka sondern um den schwarzen Niqab, den man allerdings in unseren Breiten – von der Münchener Maximilianstraße abgesehen – auch eher selten sieht. So scheußlich man die Stoffzelte finden kann  – sie lohnen die erregte Diskussion nicht. Viel wichtiger ist die Frage, ob und wie in Deutschland das Grundgesetz in Parallellgesellschaften Anwendung findet – etwa in der Frage der Zwangsheiraten und Kinderehen, deren Zahl im vergangenen Jahr extrem in die Höhe geschossen ist und zwar nicht nur in Flüchtlingskreisen. Wie es den Frauen unter dem Schleier oder dem Kopftuch geht, ist die eigentlich wichtige Frage. Wie es mit dem Schutz vor Gewalt in Flüchtlingsheimen aussieht, eine andere. Und wie unser Staat unsere Gesetze durchsetzt, eine dritte. Alle wichtiger als das Burka-Verbot.

Zweites Beispiel: Die Angst vor islamistischem Terror in Deutschland. So grauenhaft die Beispiele aus Frankreich sind und so erschreckend die Taten von Würzburg und Ansbach: Wirklich gefährlich sind in Deutschland die Rechtsextremen. 691 Verletzte wurden im Jahr 2015 in Deutschland gezählt, die Zahl der Gewalttaten aus diesem Spektrum hat sich gegenüber 2014 verdoppelt. In diesem Jahr waren es noch einmal 44 Prozent mehr. Wo ist der Aufschrei der Empörung, wo sind die Expertenrunden auf allen Kanälen? Genauso bedrückend ist die Gewalt von Flüchtlingen gegen Flüchtlinge – ein Thema, das verhältnismäßig unbeachtet bleibt.

Lasst uns über die Burka reden. Über unsere Angst vor Terroristen. Aber lasst uns vor allem darüber reden, wie wir unser Zusammenleben und unsere Werte in jede Richtung verteidigen können. Das ist die wichtigste Frage.

 

 

 

Gauland ausbürgern!

Es gibt Texte, die man nur mit Schaum vor dem Mund schreiben kann und ich bekenne mich ausdrücklich dazu, dies an dieser Stelle zu tun. Grund dafür ist Alexander Gauland, von dem man nach der Nachbarschafts-Boateng-Nummer erfreulich lange nichts mehr gehört hat. Heute schlägt er nun vor, das Asylrecht für Muslime auszusetzen.„Wir können es uns aus Sicherheitsgründen nicht mehr leisten, noch mehr Muslime unkontrolliert nach Deutschland einwandern zu lassen“, erklärte der stellvertretende AfD-Vorsitzende am Mittwoch, so der Tagesspiegel.

Der Grund für diesen bizarren Vorschlag: Die  Anschläge der vergangenen Woche in Würzburg und Ansbach. Man weiß nicht mehr genau, ob Herr Gauland mittlerweile unter altersbedingter Demenz leidet – die Kenntnis der deutschen Verfassung dürfte ihm allerdings noch geläufig sein. Es kann also nichts anderes hinter diesem Vorschlag stecken, als der Vorsatz, unserem Land zu schaden und noch mehr Hass, Wut und Fremdenfeindlichkeit zu säen. Der Logik von Alexander Gauland folgend, müsste man übrigens noch viel mehr Gruppen von Menschen die Einreise verweigern: Zum Beispiel Männern. Oder Menschen mit psychischen Krankheiten. Denn auch diese Eigenschaften einen die Attentäter. Und mindestens eine davon verbindet sie auf jeden Fall mit Herrn Gauland.

 

Türkischer Herbst

Womöglich wird man in vielen Jahren einmal herausfinden, wem der nächtliche Putschversuch in der Türkei – vorläufige Bilanz: knapp 200 Tote, 1200 Verletzte – wirklich zuzuschreiben ist. Wem er nützt, steht schon jetzt fest: Präsident Erdogan. Sein ohnehin aus Verschwörungstheorien gemauertes Regierungsfundament wird noch stabiler werden. Seit langem verfolgt und bestraft Erdogan seine Gegner mit einer Verbissenheit, die ans Pathologische grenzt – jetzt gibt ihm der Putsch die letzte Weihe. Es ist keine Frage, dass der Putsch illegitim war – Erdogan ist demokratisch gewählt worden. Und nichts wäre schlimmer gewesen, als eine Türkei im Bürgerkrieg.

Doch wie demokratisch die nächste Wahl in  der Türkei noch sein wird, ist heute ein großes Rätsel.  Sah er gestern Abend im wackligen Handy-Video auf CNN noch aus wie einer der gestürzten Despoten des Arabischen Frühlings, hatte er schon heute Morgen seine Rhetorik vollständig zurückgewonnen. Nicht nur verortet er die Schaltzentrale des Putschs im Ausland, er sprach auch von einem „blitzsauberen“ Militärapparat, den er nun schaffen werde. Womöglich erlässt er Notstandsgesetze, die die Demokratie in der Türkei weitgehend aushebeln. Es könnte ein türkischer Herbst ausbrechen, der in einen sehr kalten Winter mündet.

Die Stunde der Feiglinge

Man kann Boris Johnson vieles vorwerfen  – aber nicht, dass ihm der Instinkt für effektvolle Auftritte fehlt. 13 Uhr hatte die konservative Partei als Meldefrist für mögliche Kandidaten als Nachfolger David Camerons gesetzt. Johnson meldete sich erst um kurz vor eins zu Wort. Dann ließ er – ganz zum Schluss einer kleinen Rede und mit erkennbarem Genuss –  die Bombe platzen: Er kandidiere nicht für den Posten des Tory-Vorsitzenden. Und damit auch nicht für den des Premierministers.

Englische Zeitungen schreiben, dies sei der Tatsache zuzuschreiben, dass Justizminister Michael Gove heute Vormittag seine Kandidatur bekannt gab – ausdrücklich übrigens, um Johnson zu verhindern. Es spricht allerdings einiges für die Annahme, dass es der innerparteilichen Anything-but-Boris-Koalition gar nicht bedurft hätte. Johnson sah schon Freitag früh so aus, als würde er sich am liebsten aus dem Staub machen. Er wirkte wie einer, der den besten Freund zum Fahren ohne Führerschein überredet hat und es dann nicht gewesen sein will, wenn das Auto am Baum zerschellt.

In seiner kleinen Boxit-Rede äußerte er die Überzeugung dass er nicht die Person sein könne, die das Land nun in die Verhandlungen über den EU-Austritt führt. Diesen Eindruck hatten schon andere vor ihm. Es ist davon auszugehen, dass er auch nie diese Person sein wollte. Johnson hat sich klassisch verzockt. Er wollte wohl nicht den Brexit, sondern den größtmöglichen Kontrast zu David Cameron. Das ist ihm allerdings gründlich misslungen: Beide stehen nicht zu dem, was sie angerichtet haben. Oder, um es mit Ambrose Bierce zu sagen, „Ein Feigling ist ein Mensch, bei dem der Selbsterhaltungstrieb normal funktioniert.“

Foto: Gerhard Altmann, Pixabay

 

Wir Rind, das Volk

Es hat etwas Tragikomisches, wie die Briten sich jetzt mit dem Ergebnis ihrer eigenen Volksbefragung auseinandersetzen. Während die einen verzweifelt versuchen, den Brexit durch die Hintertür zu verhindern, sind andere am Freitagmorgen aufgewacht und haben sich gewundert, dass ihre Stimme etwas bewirkt. Denen möchte man zurufen: Ja, so ist das in einer Demokratie. Darum heißt sie auch Herrschaft des Volkes.

Ein interessanter Nebenaspekt des britischen Referendums: Auch die Politiker sind endlos erstaunt, dass ihre großmäuligen Ankündigungen ernst genommen wurden. Während Nigel Farage schon alles nicht mehr so gemeint haben will, ist Boris Johnson seit Freitag  in der Versenkung verschwunden und schwafelt, wenn er denn mal auftaucht, dass alles so bleiben könnte wie vorher. Nur ohne EU. Der Auslöser des ganzen Elends, David Cameron, sitzt weinend in der Downing Street und verflucht den Tag, an dem er sich hat hinreißen lassen, das Volk zu befragen.

Und damit hat er verdammt Recht. Es gibt Dinge, die so überschaubar sind, dass sie sich jederzeit für eine Volksbefragung eignen. Nehmen wir zum Beispiel den Fahrradverkehr in Berlin. Jeder ist imstande, sich eine Meinung darüber zu bilden, ob er oder sie eine bessere Infrastruktur für Radfahrer möchte. Man muss abwägen, wie viel Geld es der Stadt wert sein sollte,  wie es sich auf den Autoverkehr auswirkt und in welcher Zeit Verbesserungen realistisch sein könnten. Soviel Weitsicht ist den meisten Bürgern zuzutrauen.

Der Ausstieg aus der EU ist allerdings nicht direkt mit dem Fahrradverkehr in Berlin vergleichbar. Ganz offenbar hat die Komplexität des Vorgangs das Volk völlig überrascht. Hinterher. Zumindest gaben am Sonntag bereits sieben Prozent der „Brexit“-Befürworter an, ihre Entscheidung zu bedauern. Und aus dem Unterhaus kommen bereits erste Stimmen, die das Ergebnis der Befragung für nicht bindend halten.

Und so hält das britische Referendum einige Lektionen für jeden Politiker bereit, der demnächst in Versuchung sein sollte, sein Volk zu befragen:

  1. Denke nie, Du kriegst die Antwort, die Du gerne hättest.
  2. Verlass Dich nicht darauf, dass Argumente über Emotionen siegen.
  3. Daher: Mach Deinen Job, und triff die Entscheidungen selbst.
  4. Lebe mit den Folgen.
  5. Sei unbeliebt.
  6. Lass Dich, wenn es hart auf hart kommt, abwählen.

So geht Demokratie.